6 Key Learnings von Dotcom-Unternehmen im Umgang mit digitalen Veränderungen

6 Key Learnings von Dotcom-Unternehmen im Umgang mit digitalen Veränderungen

Einführung:

Im letzten Jahr schrieb ich hier auf Paymentandbanking.com die viel geklickte und -zitierte Reihe “7 Todsünden der Digitalisierung”. In den Postings fasste ich meine Erlebnisse von knapp 20 Jahren Management von digitalen Produkten zusammen und die größten Fehler von Kunden/Dienstleistern/Banken, die in all den Jahren immer wieder evident wurden. Noch heute gönne ich mir bei größeren Konferenzen den Spaß während Präsentationen und Keynotes mitzuschreiben, in welche der 7 Fallen der entsprechende Referent gerade gefallen ist bei seinen Ausführungen. So trifft man immer wieder auf den grundlegenden Gedankenfehler vieler traditioneller Bänker, dass Marketing alleine scheinbar Kundenpräferenz für das Produkt generiert, wenn betont wird, dass Produkt XYZ nicht so gut laufe und man mehr ins Marketing investieren müsse. Ein weiterer Klassiker ist die konsequente Unterschätzung und das Kleinreden der Bedrohung von (noch kleinen) StartUps. Im Rahmen der vielen Blockchain Konferenzen derzeit wird auch oft vergessen, dass Backendprozess-Optimierung und Infrastruktur alleine keine neue Kunden und Produkte generiert, während sich die z.T. eklatanten Defizite in Frontends kaum jemand kümmert.

Mit und nach der Veröffentlichung der Todsünden-Reihe erreichte mich immer wieder das Feedback und die Bitte nicht nur die Fehler zu identifizieren und Salz in die Wunde zu streuen. Statt destruktiv solle ich doch besser konstruktiv schreiben und Tipps geben, wie man erfolgreich mit der Herausforderung Digitalisierung umgehen solle. Wäre es derart einfach die Do´s und Dont’s der Digitalisierung zu formulieren, säße ich jetzt nicht in Frankfurt, sondern hätte schon x lukrative StartUps Exits hinter mir. Es bräuchte dann auch nicht die vielen Chief Digital Officer in den Konzernen und dann gäbe es die gesamte StartUp/Venture Capital Szene nicht aufgrund der schnellen digitalen Innovation und erfolgreichen Go-To-Market Fähigkeit der etablierten Anbieter.

6 Key Learnings von Dotcom-Unternehmen im Umgang mit digitalen Veränderungen

Im Frühjahr 2018 wurde ich dann vom Deutschen Fachverlag/Eurofinance Group gefragt, ob ich nicht eine Keynote bei ihrer Veranstaltung “Bank der Zukunft – Bankgeschäft im digitalen Umbruch” halten könne. Sie schlugen meine „sieben Todsünden-Reihe“ in einer Präsentation vor. Da ich, trotz meiner Erfahrungen im Aufbau von PayPal in Europa grundlegend davon überzeugt bin, dass Banken eben nicht “doomed” sind, wollte ich die negativen Todsünden nicht als Keynote der “Bank der Zukunft” halten. Schließlich kam mir ein guter Geistesblitz. In den fünf Jahren meiner Tätigkeit für PayPal Europa u.a. als Strategiedirektor, bin ich unzählige Male ins (hier fast geheiligt angesehene) Silicon Valley gereist. Ich war dort immer unterschiedlich lang im PayPal Headquarter in der Millionenstadt San Jose, dem Herz des Silicon Valley. Mal waren es nur drei Tage vor Ort und zwei Tage im Flieger, mal waren es zwei Wochen, mal ein verlängertes Wochenende…
In Summe verbrachte ich, grob geschätzt, ein ganzes Jahr vor Ort im Silicon Valley, allerdings verteilt über den Zeitraum von 5 Jahren in unzähligen Aufenthalten ab Anfang 2008. In dieser Zeit passierten beeindruckende Umbrüche, selbst in Silicon Valley Maßstäben. Steve Jobs hatte wenige Monate vor meinem ersten Besuch das erste iPhone vorgestellt, das ich natürlich nur wenige Stunden nach meiner ersten Landung in San Francisco im (alten) Apple Store am Union Square kaufte und nach Deutschland brachte, wo wir noch kein iPhone hatten. Mit dem iPhone etablierten sich die AppStores und veränderten das Konsumentenverhalten der Kunden dramatisch. Manche Geschäftsmodelle wurden durch Smartphones überhaupt erst möglich. Aber auch die etablierten DotComs mussten mit den neuen Veränderungen umgehen. Genauso wie heute die Digitalisierung Bankmanager vor große Herausforderungen stellt, waren damals die Manager der Technologiekonzerne gefordert. Wie und wann sollte man die neue mobile Welt einsetzen? Welche Skillsets bei Mitarbeitern waren nötig? Wo und wie kann man App-Developer rekrutieren? Wie lässt sich “mobile first” umsetzen? Wie kannibalisiert “mobile” das eigene Geschäft und welche neuen Chancen sind damit verbunden?

In wenigen Jahren hatten die Valley-Nachbarn von Apple seien es StartUps, aber auch große Digital-Konzerne die Herausforderung gemeistert, wenn man z.B. an Facebook und Google denkt, die zweifelsohne zu den ganz großen Gewinnern des Mobile-Trends seit 2007 gehören. Die andere Seite der Medaille war jedoch, dass ohnehin angeschlagene Unternehmen wie z.B. eBay oder Yahoo in ihren Abwärtstrends noch verstärkt wurden. Von diesem Umgang im Wandel können auch wir uns heute bei dem Umgang mit der Digitalisierung viel abschauen. Was waren die Rezepte der großen Technologiekonzerne? In den kommenden Wochen werde ich sechs solcher Rezepte hier im Blog genauer beschreiben und beginne heute mit dem ersten:

1. Unternehmerisches Handeln schlägt Corporate Politics

Schauen wir uns zuerst unsere Paymentandbanking Infografik zu den weltweit am höchsten bewerteten Digitalunternehmen an. Dort fällt auf, dass die Top5 von die GAFA-(Google Apple Facebook Amazon)-Unternehmen plus Microsoft dominiert wird.

Wenn wir dann die 5 größten globalen Unternehmen auf der Zeitschiene betrachten, springt eines ins Auge. Während in den 90er Jahren die Top5 Großkonzerne primär aus dem Energiemarkt kamen, schmuggelte sich im Jahr 2001 erstmals das von Bill Gates gründergeführte Softwareunternehmen Microsoft in die Champions-Klasse. Heute sind drei der fünf Unternehmen mit der höchsten globalen Kapitalmarktbewertung immer noch gründergeführt. Wäre Steve Jobs nicht an Krebs gestorben, säße er bestimmt heute noch bei Apple als CEO oder zumindest als Chairman vor. Auch Bill Gates hat bis 2014 Microsoft noch als Chairman geführt. Besonders interessant ist dieser starke Fokus auf Gründer und somit stark unternehmerisch geführte Gesellschaften im zeitlichen Kontext. Als GE 2001 das weltweit wertvollste Unternehmen war, postulierte der GE CEO Jack Welch die umstrittenen Thesen des “Shareholder Value” und viele Konzernmanager hingen an seinen Lippen und machten seine Bücher zu weltweiten Bestsellern. Heute spielt GE, trotz oder gerade wegen der Rezepte von Welch, bei weitem nicht mehr diese dominante Rolle wie in den 2000er Jahren. Empirisch ist somit eindrucksvoll bewiesen, dass wirklicher Shareholder Value in den letzten Jahren von unternehmerisch geführten Konzernen generiert wurde und eben nicht von angestellten Managern, die sich über interne Konzernpolitik ihre Sporen für höhere Weihen in Konzernen verdient haben! Unternehmerisches Handeln schlägt sehr beeindruckend Corporate Politics! Dies ist eines der Lehren aus dem Umgang mit den Herausforderungen, denen sich die Technologiefirmen im Rahmen des Paradigmenwechsels von “Mobile” konfrontiert sahen. Selbst Jeffrey Immelt, der Nachfolger von Jack Welch bei GE, bestätigt dies in seinen “10 Management-Geboten”. Er sagt in seinem siebten Gebot: “Wir gewinnen in Märkten, nicht in Konferenzräumen”.

Neben den GAFAs spielen bei den Börsenbewertungen auch immer mehr die BATs eine Rolle. BAT steht für die chinesischen  Internetgiganten Alibaba, Baidu und Tencent (u.a. Wechat). Die Gründer hinter den BATs haben diese riesigen Konzerne von kleinen StartUps geschaffen und führen die Gesellschaften (ganz nach Silicon Valley Vorbild) bis heute selbst.

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Wie wichtig die Börse diese Tatsache für den “Shareholder Value” nimmt, zeigte sich vor wenigen Tagen als Jack Ma, der Alibaba-Gründer, als Chairman aus dem Verwaltungsrat zurücktreten wollte. Analysten waren aufgebracht, der Börsenkurs des mit $400 Mrd bewerteten Konzerns brach wegen dieser Meldung um 2% ein. Alleine diese Personalmeldung vernichtete einen Börsenwert von $8 Mrd und zeigt wie relevant die Märkte die unternehmerisch führende Hand der Gründer bewertet. Zum Vergleich: Die Commerzbank AG in Gänze hat eine Marktbewertung von €10 Mrd.

Die oft gehörte Behauptung Gründer funktionieren nur in ihren “StartUps” und gehen in Konzern und ihren Prozessen unter, ist lediglich ein schlechtes Cliché wie die obigen Beispiele zeigen. Kurioserweise höre ich diese Vorurteile gegenüber Gründern primär aus klassischen Konzernen, die über die vermeintliche “Konzerninkompatibilität” von Unternehmern sprechen. Vielleicht liegt es weniger an den Gründern, sondern eher an nur bedingter Kompatibilität von Konzernmanagern wirklich unternehmerisch zu agieren? Warum müssen die vielen DAX-CEOs immer und immer wieder in ihren Reden darauf hinweisen, dass die Mitarbeiter (endlich?) unternehmerisch agieren sollen?

Die (digitale) Veränderung lässt sich offensichtlich am ehesten erfolgreich meistern, wenn man unternehmerisch und mit Gründertum damit umgeht. Betrachtet man die Entwicklung der Marktkapitalisierung in den letzten 10-20 Jahren, haben Konzerne mit angestellten Managern, die niemals selbst unternehmerisch aktiv waren, deutlich weniger Shareholder Value generiert.

6 Key Learnings von Dotcom-Unternehmen im Umgang mit digitalen Veränderungen

Was lernen wir also daraus für Deutschland? Betrachten wir einmal die wichtigen, aber leider in der Traktion stockenden und zum Teil längst wieder eingestellten “Vorzeige”-Digitalinitiativen deutscher Großkonzerne: z.B. Paydirekt (Onlinepayment), Verimi (Digitale Identifikation), Joyn (Multimediamessaging), MainFunders (Crowdfunding), Yomo (Mobile Banking), Postpay (Onlinepayment), Mywallet/mpass/wallet (mobile Payment), Yapital (mobile Payment) ePostbrief/DeMail (sichere Nachrichten). Diese für den hiesigen Standort wichtigen lokalen Initiativen wurden und werden aus den Konzernen oder Konzern-Konsortien heraus wie eine Konzern-Abteilung gesteuert, geführt von erfahrenen Konzernmanagern, aber nicht Unternehmern. Von außen betrachtet schien bzw. scheint die Corporate Governance und Politik immer wichtiger zu sein als die unternehmerische Freiheit beim Go-To-Market. Mit den ersten ausbleibenden Erfolgsmeldungen wird die Führung zwar ausgetauscht, aber die Nachfolger eher noch enger nach Konzernrezepten geführt, statt ihnen die komplette unternehmerische Freiheit zu geben. Die oben dargestellten Vorbilder im Silicon Valley machen es jedenfalls anders, wie ich an weiteren Beispielen in den kommenden Wochen noch ausführen werde.

Teil 2: Radikale Orientierung am Kundenverhalten. Eigene Defizite über M&A heilen und warum Übernahmen zu “Mondbewertungen” am Ende doch Sinn ergeben. 

Teil 3: Kannibalisiere Dich selbst, bevor es andere tun – Oder warum besser deutsche Banken in N26 investieren sollten statt Tencent und Co.

Autor

  • Jochen Siegert ist Co-Founder von Payment & Banking, Unternehmer, Investor und erfahrener Experte für digitale Transformation. Er schaut zurück auf knapp 25 Jahre Erfahrung in Einführung und Management von Innovationen / digitalen Finanzprodukten. Jochen begleitete senior Führungspositionen bei globalen Paymentanbietern, Fintechs und Banken.

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